Wohin man schaut, sieht man zur Zeit Meldungen über
Flüchtlinge, die von „besorgten Bürgern“ angegriffen werden, Flüchtlinge, die
im Meer ertrinken oder in LKWs ersticken, Flüchtlinge, die sich auch
gegenseitig angreifen in völlig überfüllten Landeserstaufnahmeanstalten, wo sie
zusammengezwängt wie die Sardinen zur völligen Untätigkeit verdammt sind. Viel
ist dazu schon gesagt, geschrieben und geschrien worden, und doch möchte ich
jetzt auch noch meinen Senf dazu geben.
Heute Morgen habe ich in der Mediathek die gestrige
Sendung von Maybrit Illner gesehen, oder besser gesagt einen Teil davon.
Zuschauer hatten die Möglichkeit, per E-Mail ihre Fragen und Kommentare zu
schicken, die dann in der Sendung diskutiert wurden. Die erste Dame schrieb: „Wir
sind mit bewachten Grenzen aufgewachsen. Kann sich nun jeder in Europa und
Afrika sein Lebensgebiet selbst aussuchen?“ An dieser Stelle bin ich ein
bisschen stutzig geworden. Das klingt ja fast wie etwas Negatives, wenn ich mir
selbst aussuchen darf, wo ich lebe. Ist das nicht unser Ziel? Dass jeder die
Freiheit hat, dort zu leben, wo er glaubt, glücklich werden zu können? Wenn ein
deutscher Wissenschaftler beschließt, dass er lieber in den USA forschen
möchte, ist das okay. Aber wenn ein nigerianischer Ingenieur beschließt, dass
er gerne in Deutschland arbeiten möchte, ist er ein Wirtschaftsflüchtling, den
man wieder abschieben muss? Das verstehe ich nicht.
Der Kommentar ging dann noch weiter: „Müssen wir nun jedes
Jahr fast 1 Million Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen? In unserem
Bekannten- und Freundeskreis haben alle Angst.“ Ich frage mich: Was sollen wir
denn anderes tun, als diese Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge aufzunehmen?
Sollen wir sie im Mittelmeer verrecken lassen, zusammengepfercht, wie es bei
uns nicht einmal Tierschutzverordnungen zulassen würden? Und dann ist da noch
das Thema Angst. Überall scheinen die besorgten Bürger momentan Angst zu haben
vor Flüchtlingen und fordern deswegen, dass sie nicht ins Land gelassen werden.
Ich habe seit meiner Kindheit Angst vor Vögeln – sie widern mich an, ich kann
mich nicht in ihrer Nähe aufhalten, ohne dass mein Herzschlag und meine Atmung
sich beschleunigen. Ich bin mir sicher, wenn ich lange genug google, finde ich
auch Menschen, die irgendwann mal durch Vögel getötet wurden. Und ich weiß,
dass ich nicht die einzige mit Ornithophobie bin. Aber deswegen gehe ich doch
auch nicht auf die Straße und fordere, dass die Kanzlerin ein riesiges Netz
über Deutschland spannt, damit mir keine Vögel mehr den nachmittäglichen Latte
Macchiato in der Sonne vermiesen. Wer unter Angststörungen leidet, sollte damit
entweder zu einem Psychotherapeuten gehen oder – so wie ich – andere nicht mit
seinem Scheiß behelligen.
Und überhaupt, diese Unterscheidung in Kriegs- und
Wirtschaftsflüchtlinge…vielleicht reagiere ich darauf nur so allergisch, weil
ich praktisch gesehen vor 27 Jahren selbst Wirtschaftsflüchtling war. Da fällt
es mir naturgemäß eher schwer, gegen diese Osteuropäer zu wettern, die doch nur
hierher kommen, um sich auf unsere Kosten einen faulen Lenz zu machen. Meine
Eltern hatten auch keinen Job, als sie hierhergekommen sind. Sie sprachen auch
nicht wirklich Deutsch. Und wahrscheinlich hat man sie auch recht kritisch
beäugt, als sie 1988 mit zwei kleinen Kindern und einem randvoll beladenen Auto
in Friedland ankamen und darauf warteten, weiterreisen zu dürfen. Klar, in der
Theorie lag bei uns die Situation ein wenig anders, als „Aussiedler“,
„Statusdeutsche“
und „deutsche
Volkszugehörige“ hatten wir ja ein „Recht“ darauf, wieder in unsere „Heimat“
zurückzukehren…wie extrem willkürlich diese Kriterien sind, darüber möchte ich
mich gar nicht auslassen.
Praktisch war es aber so, dass meine Eltern nicht in einem Land leben wollten, in dem sie stundenlang in einer Schlange stehen mussten, um irgendetwas zu kaufen – der alte Witz war in der Situation wahrscheinlich gar nicht so witzig: „Was tut ein Pole, wenn er eine Schlange sieht? – Er stellt sich an.“ Das würde man heute also als astreine Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen. Schauen wir uns aber an, was es diesem Land gebracht hat, dass ich hier bin: Ich bin hier in den Kindergarten und zur Schule gegangen, habe schon in der Grundschule besser Deutsch gesprochen als meine deutschen Klassenkameraden, habe hier studiert (und zwar genau in der Zeit, als man in Baden-Württemberg Studiengebühren gezahlt hat) und kein Bafög bekommen. Seit 5 Jahren arbeite ich und zahle brav meine Steuern, die zwar nicht gerade niedrig sind, die ich aber trotzdem mehr oder weniger gerne zahle. Weil ich daran glaube, dass diese Steuern unter anderem dafür verwendet werden, den Menschen aus der Patsche zu helfen, die sich gerade nicht selbst helfen können. Ob das Deutsche, Afghanen, Peruaner oder Libyer sind, ist doch dabei völlig gleichgültig. Warum geben wir also nicht mehr Menschen die Möglichkeit, gute Vorbilder zu werden?
Praktisch war es aber so, dass meine Eltern nicht in einem Land leben wollten, in dem sie stundenlang in einer Schlange stehen mussten, um irgendetwas zu kaufen – der alte Witz war in der Situation wahrscheinlich gar nicht so witzig: „Was tut ein Pole, wenn er eine Schlange sieht? – Er stellt sich an.“ Das würde man heute also als astreine Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen. Schauen wir uns aber an, was es diesem Land gebracht hat, dass ich hier bin: Ich bin hier in den Kindergarten und zur Schule gegangen, habe schon in der Grundschule besser Deutsch gesprochen als meine deutschen Klassenkameraden, habe hier studiert (und zwar genau in der Zeit, als man in Baden-Württemberg Studiengebühren gezahlt hat) und kein Bafög bekommen. Seit 5 Jahren arbeite ich und zahle brav meine Steuern, die zwar nicht gerade niedrig sind, die ich aber trotzdem mehr oder weniger gerne zahle. Weil ich daran glaube, dass diese Steuern unter anderem dafür verwendet werden, den Menschen aus der Patsche zu helfen, die sich gerade nicht selbst helfen können. Ob das Deutsche, Afghanen, Peruaner oder Libyer sind, ist doch dabei völlig gleichgültig. Warum geben wir also nicht mehr Menschen die Möglichkeit, gute Vorbilder zu werden?
Das ist der letzte Punkt, der mich schmunzeln ließe, wenn
deswegen nicht täglich Unterkünfte für Asylbewerber brennen würden: dieses
diffuse Gefühl der Volkszugehörigkeit. Menschen gehen auf die Straße (oder auf
Facebook), gröhlen „Wir sind das Volk“ (auf Facebook schreiben sie auch gerne
mal „Wir sind das FOLCK“) und meinen damit eigentlich „Ich will, dass alle
Menschen meine Meinung annehmen“. Denn eigentlich wissen sie ja selbst nicht,
wer dieses Volk eigentlich ist. Wie definiert sich das „Volk“ denn? Wenn ich
nicht einmal den Nachbarn aus der Wohnung über mir kenne, kann ich dann für ihn
und mich gemeinsam in Anspruch nehmen, das „Volk“ zu sein? (Ich behaupte übrigens
nicht, meine Nachbarn zu kennen, aber ich würde mir auch nicht herausnehmen,
sie mit mir gemeinsam in ein verqueres Volksverständnis zu quetschen…) Und wenn
das „Volk“ deutsche Staatsbürger beinhaltet, warum müssen sich dann auch die
deutschen Staatsbürger, die einen Migrationshintergrund haben, anfeinden
lassen? Bzw. Wo fängt denn dann „Deutschsein“ an? Dürfen meine Kinder, wenn sie
dann mal in Deutschland geboren sind als Kinder einer Deutschen, von sich
behaupten, sie seien Deutsche? Oder geht das immer noch nicht, weil der Ort, an
dem ihre Eltern geboren sind, zu dem Zeitpunkt, als ihre Eltern geboren wurden,
kein deutsches Staatsgebiet war? Ich möchte damit auf die Absurdität und die
Willkür dieser Begriffe aufmerksam machen. Im Übrigen bin ich ohnehin der
Meinung, dass Nationalstaaten ein Relikt des 19. und 20. Jahrhunderts sind und
in eine globalisierte Welt nicht mehr passen – aber DAS ist wieder eine ganz
andere Geschichte…
Und um hier nicht nur meine Meinung geäußert zu haben, will
ich doch noch auf drei Initiativen aufmerksam machen, die ich für mehr als
unterstützenswert halte:
Workeer ist eine
Jobbörse für Geflüchtete und Arbeitgeber, die ihnen eine Chance geben wollen.
Es werden hier auch noch ehrenamtliche Helfer gesucht, schaut doch einfach mal
auf der Facebook-Seite vorbei.
Flüchtlinge
willkommen ist eine Anlaufstelle für WGs, Familie, Alleinlebende, Paare, …,
die Flüchtlingen Wohnraum zur Verfügung stellen möchten. Das kann eine leerstehende
Wohnung sein, das kann ein WG-Zimmer sein, das kann aber auch einfach so ein
freies Zimmer im eigenen Haushalt sein. Auch hier gibt es natürlich eine Facebook-Seite.
Oh, und weil man angesichts des Hasses und der Hetze im Netz leicht depressiv werden könnte, möchte ich euch auch noch Katzen gegen Glatzen ans Herz legen - weil es eigentlich keine angemessenere Art gibt, auf Hetzkommentare zu antworten, als mit kuscheligen Katzenbildern!
Vielleicht sollten wir uns alle mehr darauf besinnen, dass
wir MENSCHEN sind und nicht Deutsche…dann klappt’s auch mit den neuen Nachbarn!
;-)
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